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Krieg in der Ukraine Ukrainische Soldatin erleidet Nervenzusammenbruch und wird von Trollen beschimpft

Elena Ivanenko kämpft mit der Speerspitze der ukrainischen Truppen. Neben den sonst so gut durchdachten und gefassten Interviews gehört dieses Video zu den ehrlichsten Zeugnissen des Krieges.
Sehen Sie im Video: Ehrlicher Einblick in ein Leben im Krieg – Ukrainische Soldatin erleidet Nervenzusammenbruch.
Elena Ivanenko kämpft mit der Speerspitze der ukrainischen Truppen. Ihre Einheit erzielte den größten Triumph der Sommeroffensive und vertrieb die Russen aus Robotyne. Ihr Schmerzensschrei über die Verluste gehört zu den ehrlichsten Zeugnissen des Krieges.

"Krieg ist die Hölle!", das sagte kein anderer als William Tecumseh Sherman, ein General der US- Armee im Amerikanischen Bürgerkrieg. Sherman war bereit, dieses Unheil zu entfesseln. Er gilt als Vordenker des "Totalen Krieges", warnte aber jeden davor, in seine Hölle einzutreten. Elena Ivanenko hat sie erlebt. Ivanenko ist eine Freiwillige, die in den ukrainischen Streitkräften kämpft. In einem kurzen Videoclip erleidet die geschockte Frau einen Nervenzusammenbruch. In den wenigen Sekunden ihres Videos gibt die 42-jährige Frau einen der ehrlichsten Auskünfte über die Natur des Krieges und wird dafür von Sofa-Kriegern im Netz verspottet.

Unter Tränen sagt sie: "Ich habe gedacht, ich würde nie so einen Moment erleben, so ein Video aufnehmen. Aber ich hasse diesen Krieg. Ich hasse ihn! Wir haben so viele Brüder verloren in ein paar Stunden. So viele habe ich in vier Monaten nicht verloren!"

Kein PR-Interview 

Solche Videos gibt es selten. Die meisten Interviews sind handverlesen. Die Soldaten wirken gefasst, patriotisch und sind willig, erneut in den Kampf zu ziehen. Hier unterscheidet sich die ukrainische Seite kaum von der russischen. Die militärische Führung hat kein Interesse, das hässliche Grauen des Krieges zu zeigen, wenn es die eigenen Leute betrifft.

Über Ivanenko wird sich im Netz lustig gemacht. Dabei gar nicht unbedingt von triumphierenden Russen, wie man vermuten könnte. Die Trolls stören ihre gefärbten Haare – Ivanenko Callsign lautet "Rotschopf" - oder der lustigen Patch im Pippi-Langstrumpf-Look. Dabei gibt es nichts zu lachen. Ivanenko ist kein Modenerd, der aus Versehen in den Krieg gestolpert ist. 

In Deutschland trainiert 

Die Gastronomin hat sich den Streitkräften im Sommer 2022 angeschlossen. Weil die reguläre Armee die unerfahrene Frau nicht haben wollte, schloss sie sich einem Freiwilligenverband an – der heutigen 47. unabhängigen mechanisierten Brigade. Deren Motto: Sempre audentes! - Immer mutig! Als das Bataillon im Winter zur Brigade erweitert wurde, wurden sie und ihre Kameraden in Lettland als Infanteristen trainiert. Danach kam sie nach Deutschland, um in Grafenwöhr auf dem Schützenpanzer Bradley zu trainieren, berichtete das "Wall Street Journal".

Die 47. Brigade nahm dann an der Sommeroffensive teil. Die Einheit trug im August die Hauptlast der Angriffe im Raum von Robotyne, dort wo den ukrainischen Streitkräften der tiefste Einbruch gelang. James Marson hat für die Zeitung den Kampf ihrer Kompanie dokumentiert. Das Scheitern der geübten Nato-Taktik und der Wechsel zum Kampf kleiner Gruppen von Fußsoldaten.

Kämpfe in der vordersten Linie 

Den Kampf von Ivanenko und ihren Kameraden beschrieb das "WSJ": "So sieht die ukrainische Gegenoffensive nach zwei Monaten aus: ein langsamer und blutiger Vormarsch zu Fuß." Die Zeitung schilderte unter anderem einen Einsatz von Ivanenkos Gruppe. Nach einem ganzen Tag schwerer Kämpfe lösen sich die Soldaten am Abend von den Russen.

"Zu den abziehenden Soldaten gehörten Sad, Rotschopf und Eiry, der Spitzname für Kuznetsova, die Lehrerin aus Bucha. Sie kämpften sich mehr als eine Meile einen Hang hinauf zu den ukrainischen Stellungen, erschöpft, dehydriert und mit den Waffen der Verwundeten.

Knapp 20 Meter vor ihrem Ziel tauchte ein russischer Panzer auf und feuerte eine Granate ab, drei von ihnen wurden getötet und vier schwer verletzt. Ein Schrapnell traf Rotschopf an der Wade und Eiry am Arm. Sad erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und erlitt einen Herzstillstand. Ärzte haben ihn wiederbelebt."

Todeszone vor Werbowe

Ivanenko kennt den Krieg weit besser als die Kommentatoren. Sie ist kein Insta-Warrior, kein Model, das mit Camouflage-Make-up hinter der Front posiert. Ivanenko war in der vordersten Linie, in den härtesten Gefechten des Sommers. Das "WSJ" zeigt sie am Grab eines Kameraden. Anfang August erlitt ihre Einheit schwere Verluste beim Kampf um Robotyne, Ende des Monats konnte die Brigade dann das Dorf befreien und die ukrainische Fahne über die Trümmerreste hissen. Das Video soll mit den Kämpfen vor dem Nachbarort Werbowe in Zusammenhang stehen. Dort konnten die Ukrainer einen Einbruch durch die erste Hauptverteidigungslinie der Russen erzielen, bleiben dann aber vor Werbowe liegen. Ein russischer Gegenangriff kombiniert mit einem Artillerieüberfall soll die erneuten schweren Verluste verursacht haben.

Ivanenko schämt sich ihrer Tränen nicht, das Video kommentierte sie auf Instagram:

Während des Kampfes konzentrieren wir uns auf unsere Aufgabe und das Überleben von uns selbst und unseren Brüdern und Schwestern.
Und wenn wir an einen sicheren Ort zurückkehren, werden wir von all den Emotionen überwältigt, die wir dort erlebt haben.
Tränen, Wut, Rückzug. Jeder Mensch lebt anders.
Es war das erste Mal, dass ich einen Anfall hatte. Ich weinte und konnte nicht atmen. Verluste sind das Schlimmste, etwas, was einen innerlich zerreißt.
Jetzt braucht man Zeit, um sie zu verarbeiten, um sie zu begreifen und weiterzugehen.
Ich bin mir sicher, dass wir keine Möglichkeit haben, uns zurückzuziehen. Denn was unseren Brüdern widerfahren ist, wird jedem von uns widerfahren.
Mit unseren Familien und Kindern.
Wenn wir leben und uns als Nation bewahren wollen, müssen wir aufstehen und bis zum Sieg kämpfen.

Der billige Hass des Internets 

Nach dem Video soll die Brigade aus dem Raum abgezogen und nach Awdijiwka gebracht worden sein, um dort die Verteidigung zu stärken. Prorussische Kommentatoren behaupten, dass die Einheit in den Kämpfen über die Hälfte ihrer Mannstärke verloren hat. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Äußerungen von Ivanenko sich auf die gesamte Brigade beziehen. Sie spricht vermutlich von ihrer eigenen, sehr viel kleineren Einheit, der 2. Kompanie des 1. Bataillons der 47. Separaten Mechanisierten Brigade.

Der ätzende Spott ist nicht auf Ivanenko beschränkt, die gleiche Behandlung erhielt eine russische Sanitäterin, die eine Woche zuvor angesichts der russischen Verluste beim Sturm auf Awdijiwka zusammenbrach.

 Quelle: WSJ, Wiki Warriors. Instagram  olena_ivanenko_rij

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