BAG schränkt den Bereich des vertraulichen Austauschs zwischen Arbeitnehmern ein

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Einleitung

Arbeitgeber können das Arbeitsverhältnis mit einem ­Arbeitnehmer aufgrund von dessen außerdienstlichen, stark beleidigenden, rassistischen, sexistischen und zu Gewalt aufstachelnden Äußerungen gegenüber Kollegen in einer WhatsApp-Gruppe kündigen.

Generell ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Arbeit­nehmer vor physischen und psychischen Beeinträchtigungen – auch durch Kollegen oder Kolleginnen – im dienstlichen Bereich zu schützen. Was soll er jedoch tun, wenn er Kenntnis davon erlangt, dass Kollegen ­andere Mit­arbeiter hingegen im privaten Bereich beleidigen, durch rassistische oder sexistische Äußerungen herab­setzen, verhöhnen oder sogar in ihrer körperlichen ­Unversehrtheit bedrohen?

Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeits­gerichts (BAG) entspricht, dass grobe Beleidigungen eine – fristlose – Kündigung rechtfertigen können (Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, NJOZ 2003, 3169). Diesem Urteil zufolge kann jedoch der Arbeitnehmer regel­mäßig auf die Vertraulichkeit solcher Gespräche vertrauen, ­soweit solche diffamierenden und ehrverletzenden Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen nur in vertrau­lichen Gesprächen unter Arbeitskollegen getätigt werden. In einem solchen Kontext war eine Kündigung – jedenfalls bisher – ausgeschlossen.

Darüber hinaus war die höchstrichterliche Recht­sprechung bislang restriktiv mit Blick auf die Frage­stellung, inwieweit ein außerdienstliches Verhalten eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt recht­fertigen könne. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) immer einen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis, eine Störung der Betriebsruhe verlangt (vgl. etwa BAG, Urteil vom 10.04.2014 – 2 AZR 684/13, NZA 2014, 1197). Beleidigungen von Kollegen könnten den Betriebsfrieden nachhaltig stören, insbesondere bei ausländerfeindlichen und rassistischen Äußerungen. Gleiches soll nach Ansicht in der Literatur ebenso für Beleidigungen des Arbeit­gebers gelten – auch dabei sei nicht relevant, ob diese während oder außerhalb des Dienstes erfolgten (MüKoBGB/Hergenröder, 9. Aufl. 2023, KSchG § 1 Rn. 292 ff.).

Das aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts stärkt die Position eines Arbeitgebers weiter und streckt den Arm deutlich in den Privatbereich des Arbeitnehmers aus. Der Pressemitteilung einer aktuellen BAG-Entscheidung ­(siehe hier) lässt sich entnehmen, dass das ­Urteil einen dienstlichen Bezug dann bejaht, wenn es um ­beleidigende, rassistische, sexistische und zur Gewalt aufstachelnde ­Äußerungen in einer privaten Chatgruppe von ­Kollegen geht. Das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer (Vertrauen auf den Schutz der Vertraulichkeit der „Unterhaltung“) überwiegt in diesem Fall trotz des privaten Kontextes nicht.

Sachverhalt

Der Kläger war seit 1999 bei der Beklagten beschäftigt. Er war tarifvertraglich unkündbar. Er war seit 2014 ­gemeinsam mit zunächst sechs weiteren Kollegen in einer Chatgruppe. Die Kollegen waren miteinander befreundet, zwei von ihnen waren Brüder. Zwischenzeitlich war ein weiterer, ehemaliger Kollege der Gruppe hinzugefügt ­worden. In dieser Gruppe tauschten sich die Männer über private Angelegenheiten, teilweise aber auch über dienstliche Umstände aus.

Die beklagte Arbeitgeberin erhielt in der Folge Chat­protokolle, nach denen der Kläger unter anderem ­folgende Äußerungen von sich gegeben hatte: „Der Pole ist der Schlimmste […] aber erst den Polakken umnieten der ist der schlimmste […] Alle aufknüpfen den Polen zuerst […] zionistische Herrscherlobby Und die Neeger kommen […] ja, die Moslems sind dem gemeinen Juden recht ähnlich was Geschäfte angeht, allerdings 7 Klassen tiefer, Ziegen, Kiosk und gebrauchte statt Banken, Medien und Firmen“.
Die Arbeitgeberin kündigte das an sich unkündbare ­Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist.

Beide Vorinstanzen [Arbeitsgericht (ArbG) Hannover, Urteil vom 24.02.2022 – 10 Ca 147/21, BeckRS 2022, 49957; Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen, ­Urteil vom 19.12.2022 – 15 Sa 284/22, BeckRS 2022, 49695] ­haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Sowohl das ArbG als auch das LAG stellten fest, dass die Äußerungen des Klägers zwar grundsätzlich geeignet seien, eine fristlose Kündigung zu stützen. ­Jedoch waren die Äußerungen nach Ansicht der Gerichte Bestandteil einer vertraulichen Kommunikation zwischen den Teilnehmern der Chatgruppe und würden als solche verfassungsrechtlichen Schutz genießen, wonach dieser dem Schutz der Ehre der durch die Äußerungen betroffenen Personen vorgehe. Der Arbeitnehmer könne in einem solchen Rahmen darauf vertrauen, dass seine Äußerungen nicht nach außen getragen würden und der Betriebsfrieden weder gestört noch das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belastet würde.

Die Entscheidung

Dem ist das BAG entgegengetreten. Es hat festgestellt, dass vorliegend keine Vertraulichkeitserwartung bestand. Eine solche sei nur berechtigt, „wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können“.

Ob eine solche Vertraulichkeitserwartung in Anspruch genommen werden könne, hinge vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie von der Größe und der ­personellen Zusammensetzung der Chatgruppe ab.

Enthalten die ausgetauschten Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, müsse der Arbeitnehmer gesondert darlegen, warum er meint, dass er erwarten durfte, dass der Nachrichteninhalt von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben würde. Dies gelte vorliegend umso mehr, als die Chatgruppe sieben Mitglieder umfasste, sich ihre Zusammensetzung zwischenzeitlich änderte, die Gruppenmitglieder sich unterschiedlich an den Chats ­beteiligten und ein auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegtes Medium genutzt worden ist.

Nach Zurückverweisung durch das BAG muss das LAG nun klären, ob der Kläger von der Vertraulichkeit der ausgetauschten Nachrichten ausgehen durfte.

Praxishinweis

Diese Entscheidung schränkt den Bereich des vertrau­lichen Austauschs zwischen Arbeitnehmern – und damit auch den damit einhergehenden Schutz des durch das Grundgesetz geschützten Persönlichkeitsrechts – deutlich ein. Dennoch ist sie aus Arbeitgebersicht sehr zu ­begrüßen. Im Rahmen der täglichen ­Praxis ist eine ­Verrohung des ­Umgangs zwischen Kollegen zu ­beob­achten. Insbesondere im Rahmen von mittels ­Messengerdiensten aus­getauschten Nachrichten nehmen Beleidigungen übelster Art sowie Drohungen oder zu Gewalttaten ­aufstachelnde Nachrichten stark zu. Arbeitgeber müssen sich insoweit schützend vor die betroffenen Arbeitnehmer stellen ­können. Das gilt insbesondere und umso mehr, wenn ­diese sich nicht nur Beleidigungen ausgesetzt sehen, ­sondern sie sich auch in ihrer körperlichen Unversehrtheit bedroht fühlen.

Bislang konnten sich Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Vertraulichkeitserwartung solcher im privaten ­Bereich ausgetauschten Nachrichten sowie auf das Fehlen eines betrieblichen Bezugs berufen – dies wird unter Berücksichtigung der vom BAG getroffenen Entscheidung nicht mehr so einfach möglich sein. Ein Arbeitnehmer ist jedenfalls gehalten, sich unter Kollegen zurückzunehmen und insbesondere seine Sprache zu kontrollieren. Vor ­allem gilt das mit Blick auf Äußerungen, die nicht mehr im Rahmen einer aufgebracht geführten Diskussion ­getätigt werden, sondern schlichtweg menschen­verachtende ­Beleidigungen wie in diesem Fall darstellen. Derartige Umstände werden im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 BGB zugunsten eines Arbeit­nehmers stets ­berücksichtigt (ArbG Berlin, Urteil vom 11.05. 2001 – 88 Ca 5714/01, NZA-RR 2002, 129; LAG Köln, Urteil vom 18.04.1997 – 11 Sa 995/96, NZA-RR 1998, 15).

Arbeitgeber sollten im Rahmen eines entsprechenden Kündigungsschutzverfahrens darlegen, aus welchen Gründen keine Vertraulichkeitserwartung bestanden hat. Im vorliegenden Fall war insoweit auf die Zusammen­setzung der Chatgruppe und auf deren sich ändernden Teilnehmerkreis abzustellen. Ferner spielt der Inhalt der ausgetauschten Nachrichten eine erhebliche Rolle. ­Darüber hinausgehend kann eine Vertraulichkeits­erwartung zum Beispiel auch dann fehlen, wenn eine ­Beschwerde, in der Beleidigungen enthalten sind, bei einem ­Vorgesetzten „auf dem Dienstweg“ eingeleitet wird (BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, NJOZ 2003, 3169). Eine solche Beschwerde verlässt den Bereich der „kollegialen Kommunikation“.

Vorsorglich sind zudem immer auch die betrieblichen Auswirkungen zu dokumentieren. Sollten solche beleidigenden, rassistischen oder sexistischen Nachrichten bereits geraume Zeit zurückliegen, ist insbesondere zu belegen, warum diese sich immer noch auf den Betriebsfrieden auswirken.

 

Autor

Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M. Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Partnerin eva.ruetz@luther-lawfirm.com www.luther-lawfirm.com

Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M.
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Fachanwältin
für Arbeitsrecht, Partnerin
[email protected]
www.luther-lawfirm.com

Autor

Jana Voigt Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Senior Associate jana.voigt@luther-lawfirm.com www.luther-lawfirm.com

Jana Voigt
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht,
Senior Associate
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