Römisches Duplexapartment: So wohnt Radiohead-Sänger Thom Yorke umgeben von Literatur, Musik und Film

Hier lebt Thom Yorke: Diese Duplexwohnung mit mehreren Terrassen, von denen schon Schriftsteller Italo Calvino blickte, ist ein Stück römische Geschichte.
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Italo Calvino bewohnte das Apartment in Rom, das jetzt Thom Yorke gehört.Danilo Scarpati

Vor Thom Yorke wohnte Schriftsteller Italo Calvino in diesem römischen Duplex. Über das Leben mit (guten) Geistern der Vergangenheit, gute Ausblicke und die Kunst.

Eines der berühmtesten Werke von Italo Calvino heißt „Die unsichtbaren Städte“. Keinem gängigen literarischen Genre lassen sich die fantastisch-surrealistischen Porträts fiktiver Städte zuordnen; der vor 100 Jahren geborene Autor selbst nannte sie ein „Liebesgedicht an die Stadt“. Auf eine sehr reale Metropole blickt man hingegen von einer der schönsten Terrassen in Roms zentral gelegenem Viertel Campo Marzio – hier war Calvino einst zu Hause, es war sein Blick. „Von hier aus“, sagt die Architektin Serena Mignatti, „sieht man et­was anderes als das klassische Postkarten-Rom. Es ist ein Blick für Kenner“, erklärt sie und deutet auf die Gebäude am Horizont, „auf ein Rom, das man von hinten ­betrachtet, das belebter wirkt und viele Fa­cetten und neue Perspektiven zeigt.“

Eine der Terrassen, von der schon Italo Calvino Rom überblickte. Nun gehört sie zu Thom Yorkes Duplex.

Danilo Scarpati

Damals wie heute: Im Duplex von Thom Yorke sind zwei Etagen der Kunst gewidmet

Die Terrasse gehört zu einer zweistöckigen Dachwohnung – 350 Quadratmeter, ver­teilt auf ein Dutzend Zimmer und mehrere Terrassen –, die eine Besonderheit besitzt: Sie ist der Kunst gewidmet. In den 1980er-Jahren lebte hier Calvino mit seiner Familie; heu­te ist das Apartment nach dreijähriger Renovierung das Zuhause von Thom Yorke, dem Sänger der britischen Band Radiohead, und seiner Frau, der sizilianischen Schauspielerin Dajana Roncione.

Italo Calvino wäre am 15. Oktober 2023 100 Jahre alt geworden. Der berühmte Schrifsteller war ein bedeutender Vertreter der Postmoderne und ist unter anderem für Werke wie „Der Baron auf den Bäumen“. „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ oder „Die unsichtbaren Städte“ bekannt.

Sophie Bassouls/Getty Images

Thom Yorkes Studio in Rom. Über dem Klavier: „Wonderland“ (2008) von Stanley Donwood.

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„Die beiden hatten sich in Rom verliebt und wollten hier leben. Als sie mich anriefen, wurde sofort klar, welch große Bedeu­tung es für sie hatte, dass es sich um die Wohnung des berühmten Schriftstellers handelte“, erklärt Architektin Serena Mignatti. Das Duplex liegt in einem typischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, in dessen Fassade Säulen aus der Römerzeit integriert sind. „Bei der ersten Besichtigung habe ich die Wohnung noch so gesehen, wie sie geblieben war, mit den Mö­beln und all den Büchern, eine echte Zeitkapsel. Calvinos Tochter Giovanna, die in New York lebt, hat den Wunsch ihres Vaters erfüllt: Er wollte, dass weiter Künstler dort leben.“ Nur dass statt der Literatur nun Musik und Film im Mittelpunkt stehen.

Im Apartment von Thom Yorke sind einige der Möbel aus altem, hochwertigen Holz gefertigt, wie bei der Frühstücksecke.

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Das Schlafzimmer des Duplex hat teils doppelte Raumhöhe; Das Bett stammt von Gervasoni, Hanfwäsche von Casa Parini.

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Thom Yorkes Apartment in Rom ist ein architektonischer Sammelband verschiedener Geschichten

„Thom und Dajana wollten den Bereich, in dem Calvino zu schreiben und zu lesen pfleg­te, in seiner Funktion erhalten“, erzählt Mignatti. Seine Bücher hatte er dem Kultusministerium vermacht, der Raum aber blieb eine Bibliothek, und im Oberge­schoss steht neben der Stereo­anlage eine Chaiselongue ge­nau dort, wo der Autor von „Der Baron auf den Bäu­men“ und „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ gerne las. Ansonsten wird das Erbe eher frei fortgeführt. „Die Woh­nung des Schrift­stellers und seiner Familie war ganz auf seine Bedürfnisse ausgerichtet“, sagt die Architektin. „Irgendwie war jeder Raum ein Arbeitszimmer oder hatte zumindest einen Schreibtisch, an dem er lesen oder schreiben konnte; für das Leben rund­he­rum war kaum Platz vorgesehen. Die Kun­den hingegen wünschten sich ein freund­liches Zuhause, einen Ort der Ge­borgen­heit und Kontemplation.“

Bücher prägten die Wohnung schon zu Zeiten von Italo Calvino, der dort in den 80er-Jahren lebte. Die Bibliothek der neuen Bewohner:innen stattete die Architektin Serena Mignatti mit Regalen aus recycelten Tannenbrettern aus. Sofa von Axel Vervoordt.

Danilo Scarpati

Die aus Bologna stammende Architektin Serena Mignatti, die in Venedig studiert hat, arbeitete zunächst in Rom in einem internationalen Büro und dann als Art-Direktorin bei Studio Fuksas. Heute entwirft sie Luxus­residenzen und andere Projekte über­all auf der Welt, darunter einen neuen Wohnsitz in London für Yorke und Roncione.

Architektin Serena Mignatti gestaltete bereits mehrere Objekte für Thom Yorke und seine Frau Dajana Roncione.

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Vom Lesebereich unter dem Dach hat man Zugang zu den miteinander verbun­denen Dachterrassen. Der Sessel ist von Axel Vervoordt, das „Phono“-Regal aus recyceltem Kastanienholz entwarf die Architektin.

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Für einige der Möbel schenkte Architektin Serena Mignatti verbrauchten Materialien ein zweites Leben

„Für jedes Projekt muss es eine Idee geben“, sagt die Architektin, „egal, was es ist. Es macht mir wirklich Spaß, den Dreh zu finden, in diesem Fall war es der Übergang von Calvino zu Yorke und Roncione, und das Ganze findet auch noch vor dem Hin­ter­grund der grande bellezza romana statt. Ich frage mich oft: Wie viele Geschichten lassen sich wohl in ein Haus einweben?“ Ganz besonders viel zu erzählen haben wiederverwertete Materialien, findet Mi­gnatti: „Die Japaner haben daraus ein Credo gemacht, sie nennen es Wabi Sabi: In der Lebenskraft und ihren Spuren liegt die Qualität.“ Alle Türen sind aus Abriss- und Umbauprojekten geborgen, auch die Holz­tische und -bänke, die Waschbecken aus Stein, die antiken Eisenträger und sogar die Wendeltreppe auf einer der Terrassen, die aus Paris stammt. „Architektur ist ein leben­diger Organismus“, sagt Serena Mi­gnatti, während sie über eine der 25 Kü­chenfronten streicht, die aus alten Türblättern gefertigt wur­den. „Ich liebe die Risse und Unvoll­kommenheiten, die Zeit, die alles altern lässt, zusammen mit den Be­wohnern. Aber nicht alle Zeichen der Zeit sind schön. Man muss wissen, wie man die richtigen entdeckt und zusammenfügt.“

Die obere Küche ist mit Marmorino und ockerfarbenem Harz beschichtet, die Arbeitsplatte rechts lag einst als Bodendiele in einem norditalienischen Kloster. Deckenleuchte von PSLab. Eine antike Wendeltreppe aus Paris führt zur Dachterrasse.

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Das Spa-artige Bad ist in Salbei- und Terrakottatö­nen verputzt. Armaturen von CEA.

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Warme Farben und natürliche Materialien

Die Baumaterialien sind alle natürlich: Wände in Kalk- und Marmorino-Putz in warmen, sanften Tönen, das Parkett aus dem späten 19. Jahrhundert, eine gewundene Treppe aus massiver Eiche, die die alte Marmorstruktur überdeckt. Das Pent­house ist auch mit moderner Technik ausgestattet, die sich aber nicht in den Vordergrund drängt: Fußbodenheizung, extraleise Kli­ma­anlagen oder, in Thom Yorkes Studio, eine avantgardistische Akustik, die jedoch an vergangene Zeiten erinnert. „Es freut mich, wenn Besucher fragen, ob das schon immer so war. Denn es ist gar nicht so leicht, sich respektvoll an den Kontext und die Historie anzupassen und quasi unsichtbar zu werden.“

Die Treppe aus Eichenholz führt in die obere Etage.

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In diesem Projekt steckt viel handwerkliches Know-how. „Das Team hat Lösungen aus der Vergangenheit mit moderner Tech­nologie interpretiert. So ist eine angenehme und entspannende Umgebung entstanden, auch dank der ruhigen, gedämpften Beleuchtung“, resümiert Serena Mignatti. „Wenn man von einem Raum zum anderen geht, ergeben sich immer wieder einzigartige und überraschende Blickwinkel. Die Architektur ist dabei nur ein Element, das die Wahrnehmung und Atmosphäre der Räume prägt – neben den Schatten, der Luft, dem natürlichen und künstlichen Licht und der Abwesenheit derer, die in diesem Haus einmal gelebt haben.“