Vor Thom Yorke wohnte Schriftsteller Italo Calvino in diesem römischen Duplex. Über das Leben mit (guten) Geistern der Vergangenheit, gute Ausblicke und die Kunst.
Eines der berühmtesten Werke von Italo Calvino heißt „Die unsichtbaren Städte“. Keinem gängigen literarischen Genre lassen sich die fantastisch-surrealistischen Porträts fiktiver Städte zuordnen; der vor 100 Jahren geborene Autor selbst nannte sie ein „Liebesgedicht an die Stadt“. Auf eine sehr reale Metropole blickt man hingegen von einer der schönsten Terrassen in Roms zentral gelegenem Viertel Campo Marzio – hier war Calvino einst zu Hause, es war sein Blick. „Von hier aus“, sagt die Architektin Serena Mignatti, „sieht man etwas anderes als das klassische Postkarten-Rom. Es ist ein Blick für Kenner“, erklärt sie und deutet auf die Gebäude am Horizont, „auf ein Rom, das man von hinten betrachtet, das belebter wirkt und viele Facetten und neue Perspektiven zeigt.“
Damals wie heute: Im Duplex von Thom Yorke sind zwei Etagen der Kunst gewidmet
Die Terrasse gehört zu einer zweistöckigen Dachwohnung – 350 Quadratmeter, verteilt auf ein Dutzend Zimmer und mehrere Terrassen –, die eine Besonderheit besitzt: Sie ist der Kunst gewidmet. In den 1980er-Jahren lebte hier Calvino mit seiner Familie; heute ist das Apartment nach dreijähriger Renovierung das Zuhause von Thom Yorke, dem Sänger der britischen Band Radiohead, und seiner Frau, der sizilianischen Schauspielerin Dajana Roncione.
„Die beiden hatten sich in Rom verliebt und wollten hier leben. Als sie mich anriefen, wurde sofort klar, welch große Bedeutung es für sie hatte, dass es sich um die Wohnung des berühmten Schriftstellers handelte“, erklärt Architektin Serena Mignatti. Das Duplex liegt in einem typischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, in dessen Fassade Säulen aus der Römerzeit integriert sind. „Bei der ersten Besichtigung habe ich die Wohnung noch so gesehen, wie sie geblieben war, mit den Möbeln und all den Büchern, eine echte Zeitkapsel. Calvinos Tochter Giovanna, die in New York lebt, hat den Wunsch ihres Vaters erfüllt: Er wollte, dass weiter Künstler dort leben.“ Nur dass statt der Literatur nun Musik und Film im Mittelpunkt stehen.
Thom Yorkes Apartment in Rom ist ein architektonischer Sammelband verschiedener Geschichten
„Thom und Dajana wollten den Bereich, in dem Calvino zu schreiben und zu lesen pflegte, in seiner Funktion erhalten“, erzählt Mignatti. Seine Bücher hatte er dem Kultusministerium vermacht, der Raum aber blieb eine Bibliothek, und im Obergeschoss steht neben der Stereoanlage eine Chaiselongue genau dort, wo der Autor von „Der Baron auf den Bäumen“ und „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ gerne las. Ansonsten wird das Erbe eher frei fortgeführt. „Die Wohnung des Schriftstellers und seiner Familie war ganz auf seine Bedürfnisse ausgerichtet“, sagt die Architektin. „Irgendwie war jeder Raum ein Arbeitszimmer oder hatte zumindest einen Schreibtisch, an dem er lesen oder schreiben konnte; für das Leben rundherum war kaum Platz vorgesehen. Die Kunden hingegen wünschten sich ein freundliches Zuhause, einen Ort der Geborgenheit und Kontemplation.“
Die aus Bologna stammende Architektin Serena Mignatti, die in Venedig studiert hat, arbeitete zunächst in Rom in einem internationalen Büro und dann als Art-Direktorin bei Studio Fuksas. Heute entwirft sie Luxusresidenzen und andere Projekte überall auf der Welt, darunter einen neuen Wohnsitz in London für Yorke und Roncione.
Für einige der Möbel schenkte Architektin Serena Mignatti verbrauchten Materialien ein zweites Leben
„Für jedes Projekt muss es eine Idee geben“, sagt die Architektin, „egal, was es ist. Es macht mir wirklich Spaß, den Dreh zu finden, in diesem Fall war es der Übergang von Calvino zu Yorke und Roncione, und das Ganze findet auch noch vor dem Hintergrund der grande bellezza romana statt. Ich frage mich oft: Wie viele Geschichten lassen sich wohl in ein Haus einweben?“ Ganz besonders viel zu erzählen haben wiederverwertete Materialien, findet Mignatti: „Die Japaner haben daraus ein Credo gemacht, sie nennen es Wabi Sabi: In der Lebenskraft und ihren Spuren liegt die Qualität.“ Alle Türen sind aus Abriss- und Umbauprojekten geborgen, auch die Holztische und -bänke, die Waschbecken aus Stein, die antiken Eisenträger und sogar die Wendeltreppe auf einer der Terrassen, die aus Paris stammt. „Architektur ist ein lebendiger Organismus“, sagt Serena Mignatti, während sie über eine der 25 Küchenfronten streicht, die aus alten Türblättern gefertigt wurden. „Ich liebe die Risse und Unvollkommenheiten, die Zeit, die alles altern lässt, zusammen mit den Bewohnern. Aber nicht alle Zeichen der Zeit sind schön. Man muss wissen, wie man die richtigen entdeckt und zusammenfügt.“
Warme Farben und natürliche Materialien
Die Baumaterialien sind alle natürlich: Wände in Kalk- und Marmorino-Putz in warmen, sanften Tönen, das Parkett aus dem späten 19. Jahrhundert, eine gewundene Treppe aus massiver Eiche, die die alte Marmorstruktur überdeckt. Das Penthouse ist auch mit moderner Technik ausgestattet, die sich aber nicht in den Vordergrund drängt: Fußbodenheizung, extraleise Klimaanlagen oder, in Thom Yorkes Studio, eine avantgardistische Akustik, die jedoch an vergangene Zeiten erinnert. „Es freut mich, wenn Besucher fragen, ob das schon immer so war. Denn es ist gar nicht so leicht, sich respektvoll an den Kontext und die Historie anzupassen und quasi unsichtbar zu werden.“
In diesem Projekt steckt viel handwerkliches Know-how. „Das Team hat Lösungen aus der Vergangenheit mit moderner Technologie interpretiert. So ist eine angenehme und entspannende Umgebung entstanden, auch dank der ruhigen, gedämpften Beleuchtung“, resümiert Serena Mignatti. „Wenn man von einem Raum zum anderen geht, ergeben sich immer wieder einzigartige und überraschende Blickwinkel. Die Architektur ist dabei nur ein Element, das die Wahrnehmung und Atmosphäre der Räume prägt – neben den Schatten, der Luft, dem natürlichen und künstlichen Licht und der Abwesenheit derer, die in diesem Haus einmal gelebt haben.“